IGB Gründungskongress - Antrittsrede von Guy Ryder, IGB-Generalsekretär

Frau Präsidentin, verehrte Kongressdelegierte,

Vielen Dank für das Vertrauen, das Ihr in mich gesetzt habt. Ich weiß, dass mit diesem Vertrauen eine große Verantwortung einhergeht, und obwohl ich nicht versprechen kann, dass ich diese Verantwortung stets zu Eurer Zufriedenheit erfüllen werde, so kann ich Euch doch versprechen, dass ich mein Möglichstes tun und Euch allen in gleicher Weise und ohne Unterschied dienen werde. Da könnt Ihr ganz sicher sein.
Ich muss sagen, es ist auch schön, wieder einen Job zu haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Wir verlassen Wien mit einer radikal transformierten internationalen Gewerkschaftsbewegung.
Es gibt guten Grund zur Zufriedenheit mit dem, was wir erreicht haben und mit dem Beitrag, den jeder und jede Einzelne von Euch geleistet hat. Manchmal ist das nicht leicht gewesen, und manchmal hat es sogar so ausgesehen, als ob es unmöglich wäre. Aber wir haben uns nicht beirren lassen von denen (und es waren am Anfang nicht wenige), die gesagt haben, dass es nicht sein könne – oder solle.
Danken möchte ich bei dieser gemeinsamen Anstrengung im Namen von Euch allen vor allem zwei Personen, zwei Freunden.
Zunächst Willy Thys, der den WVA so viele Jahre lang ausgezeichnet geleitet und den persönlichen Beschluss gefasst hat, mit seinem Talent und vor allem mit seinem Engagement zu diesem Prozess beizutragen und dafür zu sorgen, dass die Einigung zustande kommt.
Und zweitens Emilio Gabaglio. Eingeleitet wurde dieser Prozess beim EGB-Kongress in Prag, als sich der EGB von Emilio als seinem Generalsekretär verabschiedete. Einige waren damals vielleicht naiv genug zu glauben, dass das das Ende seines immensen Beitrages zum gewerkschaftlichen Internationalismus bedeutete.
Wie Ihr seht, war das nicht der Fall. Ich habe bereits bei einer früheren Gelegenheit gesagt, dass ich sehr viel von ihm gelernt habe, und bei unserer Arbeit in diesen letzten vier Jahren hat sich dieser Lernprozess fortgesetzt.
Euch beiden, Willy und Emilio, aufrichtigen Dank.
Wenn es stimmt, dass wir in dieser Woche Geschichte gemacht haben, und wenn es auch stimmt, dass dies enorme Anstrengungen erfordert hat – nicht von Einzelpersonen, sondern von Organisationen –, dann müssen wir meines Erachtens eine Bestandsaufnahme der gelernten Lektionen und der vor uns liegenden Herausforderungen vornehmen.
Die erste Lektion hängt mit den Vorbedingungen zusammen, die die Einigung ermöglicht haben. Dabei fallen mir drei ein. Die erste ist ganz einfach die Entschlossenheit, der politische Wille.
Diesen politischen Willen könnt Ihr nach Belieben beisteuern oder vorenthalten, und Ihr alle habt Euch dafür entschieden, ihn beizusteuern, und darauf sind wir auch in Zukunft angewiesen, wenn unser neuer internationaler Bund Erfolg haben soll.
Die zweite Vorbedingung ist die gemeinsame Basis der Prinzipien und Werte, die wir teilen. Dies kann ich gar nicht genug betonen. Wir sind geeint aufgrund unserer Gemeinschaft in der unabhängigen und demokratischen Gewerkschaftsbewegung. Dies ist der Zement, der uns in Pluralismus und in unserem gemeinsamen Haus miteinander verbindet. Und eine Lektion, die uns schon seit langem bekannt ist, lautet, dass Kompromisse bei diesen Prinzipien eine Spaltung und den Einsturz unseres Hauses mit sich bringen werden.
Die dritte Vorbedingung ist so alt wie die Gewerkschaftsbewegung selbst: Solidarität. Ohne sie wären wir nie so weit gekommen. Wenn nicht jede und jeder Einzelne von Euch bereit gewesen wäre, das gemeinsame und größere Wohl unserer Bewegung über die spezifischen Interessen und Anliegen zu stellen , die wir alle in unserem Gepäck mit nach Wien gebracht haben, dann befänden wir uns jetzt in einer ganz anderen Situation.
Die vor uns liegende Herausforderung besteht darin, den IGB zu dem Instrument des neuen gewerkschaftlichen Internationalismus zu machen, den wir für die wirksame Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der globalen Wirtschaft alle als notwendig akzeptiert haben (und in unserem Herzen haben wir dies schon lange gewusst).
In Wien haben wir das Potential geschaffen. Wenn wir wieder zu Hause sind, müssen wir uns an die schwierigere Aufgabe machen und versuchen, dieses Potential zu verwirklichen – und es bleibt abzuwarten, ob uns dies gelingt. Ob es uns gelingt, die von uns gesetzten Ziele zu erreichen.
Und dies sind ehrgeizige Ziele: grundlegende Veränderungen in der globalen Wirtschaft, soziale Umgestaltung, universelle Achtung der grundlegenden Arbeitnehmerrechte.
Aber unter den heutigen Umständen wäre weniger Ehrgeiz einfach nicht realistisch.
1949 hat der Vorsitzende eines anderen Gründungskongresses eines früheren internationalen Gewerkschaftsbundes zu diesem Thema – und meiner Ansicht nach zu uns heute – Folgendes gesagt. Ich zitiere:
“Der neu gegründete internationale Bund steht vor der Aufgabe, seine Ziele zu verwirklichen...Ich bin überzeugt, dass uns dies gelingen wird, da wir über die notwendige Energie und Entschlossenheit und die erforderlichen Mittel verfügen…Wir werden diese Ziele erreichen…wenn alle hier versammelten Gewerkschaftsorganisationen mit Blick auf ihre künftige Arbeit akzeptieren, dass es unerlässlich ist, die bei diesem Kongress gefassten Beschlüsse zu Hause und überall dort umzusetzen, wo es nicht nur um die Erreichung nationaler, sondern auch und vor allem internationaler Ziele geht.”
Ich hätte es selbst nicht besser sagen können- und werde es auch nicht versuchen, aber ein paar Worte möchte ich noch zu unserer gemeinsamen Zukunft sagen.
Viele von Euch haben diese Woche gesagt, dass uns unsere Einigkeit stark macht – und das ist auch sicher der Fall. Einige haben jedoch auch gesagt – und ich könnte mir vorstellen, dass es vielen durch den Kopf gegangen ist –, dass diese Einigkeit ein zerbrechliches Gut ist. Die Geschichte hat gezeigt, dass Einigkeit in unserer Bewegung in der Vergangenheit nicht von Dauer gewesen ist.
Das bedeutet, dass wir gemeinsam die Verantwortung dafür tragen, sie zu hegen und zu pflegen und zu schützen. Zunächst sind wir dabei untereinander zu Solidarität verpflichtet. Ich weiß, in diesem Saal ist das leicht zu akzeptieren, aber auch bei unserer künftigen Arbeit müssen wir dies sehr Ernst nehmen. Es ist möglicherweise weniger offensichtlich befriedigend, weniger dankbar – zumindest auf kurze Sicht –, sich für das gemeinsame Wohl des IGB einzusetzen, eine häufig unsichtbare Investition in unsere gemeinsame Zukunft vorzunehmen und die damit verbundenen Kompromisse einzugehen. Aber genau das ist es, worum ich Euch bitte. Darum und um die absolute Entschlossenheit, jeglicher Art oder Versuchung einer Organisation in internen Strömungen oder Fraktionen in unserer neuen pluralistischen Internationale zu widerstehen. Diese Versuchung ist möglicherweise vorhanden oder könnte sich ergeben, und dies wäre der Beginn unseres Untergangs. Unsere Einigkeit würde – könnte – dem nicht widerstehen, und wir dürfen so etwas daher nicht tolerieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich bin zuversichtlich, dass uns der vor uns liegende Weg eine neue Richtung weisen wird, und ich verspreche Euch, wie ich eingangs bereits gesagt habe, dass ich mit Euch allen gemeinsam darauf hinarbeiten werde.
Die Botschaft, die wir von Wien aus an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in aller Welt richten, lautet, dass der Internationale Gewerkschaftsbund aus unserer gemeinsamen Entschlossenheit entstanden ist, ihnen eine einzige Stimme, Stärke, Solidarität und ein Instrument zur Verbesserung und Umgestaltung ihres Lebens, ihrer Gemeinwesen und Gesellschaften zu geben. Die verschiedenen Traditionen und Bestrebungen und die unterschiedliche Geschichte, die uns alle auf die verschiedenen nach Wien führenden Wege gebracht haben, sind Teil unserer Stärke. Wir stehen, wie es der Generaldirektor der IAO am Mittwoch ausdrückte, auf den Schultern unserer Vorgänger. Niemand von uns wendet sich von seiner Vergangenheit ab, und alle widmen wir uns der Aufgabe, der nächsten Generation den Weg zu bereiten.
Wir reichen denen die Hand, die unsere Werte und Ambitionen teilen – wir laden sie ein, mit uns zusammenzuarbeiten und sich uns anzuschließen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Wir öffnen uns den Regionalorganisationen: dem EGB, mit dem wir eine gemeinsame Architektur entworfen haben, dem Internationalen Bund Arabischer Gewerkschaften, mit dem wir eine formelle Kooperationsvereinbarung anstreben, und der Organisation für Afrikanische Gewerkschaftseinheit, die wir zu diesem Kongress eingeladen haben.
Zusammenarbeiten wollen wir auch mit Regierungen, mit internationalen Organisationen und mit Arbeitgebern, um unsere Ziele voranzubringen – im Rahmen der IAO und anderswo – in der Tradition des Dialogs und der Dreigliedrigkeit.
Wir streben eine feste strukturelle Partnerschaft mit den Globalen Gewerkschaftsföderationen an, um unsere gemeinsame Bewegung so stark zu machen, wie sie es sein muss. Und ich sage es noch einmal, wir brauchen sie alle, da unser Haus sonst nicht vollständig ist.
Wir wollen uns der Zivilgesellschaft weiterhin verstärkt öffnen, unter Wahrung unserer jeweiligen sich ergänzenden Rollen und unserer Gewerkschaftsidentität.
In all diesen Fällen wird sich der IGB als starker, engagierter und prinzipientreuer Partner erweisen.
Aber unsere Botschaft an unsere Gegner, an diejenigen, deren Geschäft Ausbeutung und Unterdrückung ist, deren Arbeitsweise diktatorisch ist, die finanzielle und politische Macht missbrauchen und die arrogant sind – und davon gibt es immer noch viele – lautet, dass die ausgestreckte Hand sehr schnell zu einer geballten Faust werden kann und dass wir vor einer Konfrontation nicht zurückschrecken werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen,
Noch einmal vielen Dank dafür, dass Ihr den Internationalen Gewerkschaftsbund zu einer Realität gemacht habt. Er kann nur so stark sein wie Ihr ihn macht, nur so wirksam wie Euer Engagement.
Ihr habt heute hier Geschichte gemacht. Aber die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende geschrieben. Unsere Zukunft steht nicht in den Sternen. Und wenn wir scheitern, sollten wir die Schuld bei uns selbst suchen.
Wir werden nicht zulassen, dass es dazu kommt. Zu viele Menschen erwarten von uns eine bessere Zukunft. Auf unseren Schultern lasten eine große Verantwortung und das Gewicht der Geschichte. Gemeinsam, geeint und stark wird der IGB seinen Teil zur Herbeiführung von sozialer Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Frieden beitragen – Ideale, die uns schon so weit gebracht haben und die uns gemeinsam noch viel weiter bringen werden.
Vielen Dank.
Guy Ryder, Wien, 3. November 2006