Risse in der globalen Wirtschaft

Am Vormittag des zweiten Kongresstages des Internationalen Gewerkschaftsbundes fand eine leidenschaftliche Podiumsdiskussion zu der Frage statt, wie die Rechte arbeitender Menschen in einer "Ära der Unsicherheit, Hungerlöhne [und] Arbeitslosigkeit" geschützt werden können.

Zuvor hatte IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow eine bewegende Rede gehalten und den Helm eines türkischen Bergarbeiters, der am Dienstag bei dem Grubenunglück in Soma ums Leben gekommen war, hochgehalten.

Der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation, Guy Ryder, sprach ebenfalls zu dem voll besetzten Plenum im City Cube Berlin und befürwortete den Plan des IGB, in den nächsten vier Jahren 20 Millionen neue Mitglieder zu organisieren.

“Ihr werdet dieser Herausforderung der 20 Millionen neuen Mitglieder gerecht werden”, sagte Ryder. “Und das müsst Ihr auch, denn die Geschichte hat gezeigt, was auf dem Spiel steht.”

Larry Elliott, der Wirtschaftsredakteur der britischen Tageszeitung “The Guardian”, moderierte die Diskussion, bei der die Podiumsteilnehmer gefragt wurden, warum der wachsende Konsens in Bezug darauf, dass die Ungleichheit ein untragbares Ausmaß erreicht hat, die Regierungen zu keiner deutlicheren Reaktion veranlasst habe.

Hinsichtlich der anhaltenden Sparpolitik erklärte der Chefökonom des Internationalen Gewerkschaftsbundes, John Evans: “Die Politik hat sich nicht geändert, nur die Analyse.”

Weitere Podiumsteilnehmer/innen waren Sony Kapoor von der Denkfabrik Re-define, Bernadette Ségol vom Europäischen Gewerkschaftsbund und Jayati Ghosh, Wirtschaftsprofessorin an der Jawaharlal Nehru Universität in Indien.

Frau Ghosh stellte fest, dass die Länder, anstatt die öffentlichen Ausgaben und die Steuern für die Reichen zu erhöhen, inländische Kreditblasen in Bereichen wie dem Immobilien- und dem Konsumgütermarkt zuließen.

“Wir wissen, dass diese Blasen in Tränen enden”, sagte sie.

Frau Ghosh unterstrich zudem die Rolle der Medien. Die Mainstream-Medien verträten häufig die Interessen der Wirtschaft, weshalb die Gewerkschaften eigene Veröffentlichungen bräuchten, um ihre Sicht der Dinge hervorzuheben.

Frau Ségol erklärte, dass es wichtig sei, das Scheitern der Sparmaßnahmen in Europa deutlich zu machen, da die Staatsschulden der betroffenen Länder nicht zurückgegangen seien.

Es sei inakzeptabel, sagte sie, dass manche Beschäftigte lediglich 400 Euro im Monat verdienten, und fügte hinzu, dass sich erfolgreiche Volkswirtschaften durch hohe Löhne und einen ausgeprägten sozialen Dialog auszeichneten.

Herr Kapoor drängte zu Maβnahmen an zwei Fronten. Erstens in Bezug auf Steueroasen:

“Es gibt dort so viel Geld, dass wir mit den Beträgen, die seit 20 oder 30 Jahren nicht mehr angetastet wurden, das ganze Problem der Defizite im öffentlichen Dienst, das der Grund für die Austerität gewesen ist, sofort aus der Welt schaffen könnten.”

Als zweiten Punkt sprach Herr Kapoor die Pensionsfonds an und appellierte an die Delegierten, sich bei Gewerkschaftern, die als Treuhänder im Aufsichtsrat von Pensionsfonds säβen, für verantwortliche Investitionen stark zu machen.

“Es bedarf einer abgestimmten Strategie, damit diese Fonds in die Infrastruktur investieren, in Klein- und Mittelbetriebe und ihr Geld nicht in die S&P-500-Unternehmen stecken, die das Geld gar nicht mehr brauchen und keine Investitionen damit tätigen.”

Herr Kapoor sprach sich für die Besteuerung von nicht investierten Unternehmensgewinnen aus, fügte aber hinzu, dass es als Nachteil betrachtet werde, den ersten Schritt zu tun, was er für einen “kolossalen Fehler” halte. China, die USA und Europa seien derart wichtige Märkte, dass es dort zu keiner Kapitalflucht kommen würde, wenn sie den ersten Schritt täten, um die Ungleichheit für ihre Bevölkerung zu vermindern.

John Evans und Sony Kapoor im Interview hier.

Sharan Burrows Kongressrede. hier lesen.